von Franziska Buhre –
Beim diesjährigen moers festival ist eine Reihe an Trios zu Gast. Zeit für ein paar grundsätzliche Überlegungen zur Besetzung, Spielpraxis und Wahrnehmung des Trios. Wie lassen sich vermeintliche Gewissheiten hinterfragen und Binsenweisheiten fruchtbar machen für den Konzertbesuch? Und warum ist unsere Wahrnehmung des Trios so sehr von der Besetzung Klavier, Bass und Schlagzeug geprägt? Ein Gespräch mit Daniel Martin Feige, Professor für Philosophie und Ästhetik in der Fachgruppe Design an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und Autor des Buches „Philosophie des Jazz“ (Berlin 2014) gibt Auskunft.
Daniel Martin Feige, wie können wir uns dem Trio annähern?
Das Trio ist eine Form, die historisch gewachsen ist, vergleichbar mit dem Streichquartett in der klassischen Musik. Beides sind ganz intime Formen, in denen Interaktion im Vordergrund steht. Ein Duett scheint mir intimer dialogisch zu sein, es ist auch total öffentlich und kein Streitgespräch auf dem Gang. Im Trio reagiert man nicht nur auf einen anderen Menschen, sondern face to face in zwei Richtungen. Der oder die andere ist ein kollektiver Anderer. Das ist eine in sich notwendigerweise unüberschaubare Situation. Aber bei Trios kann auch eine ganz klare ästhetische Logik vorgegeben sein, die bedingt, dass die Musiker nicht auf eine substanzielle Weise miteinander interagieren.
Wofür steht das Trio im Jazz?
Im Jazz ist die Praxis besonders augenscheinlich, in bestimmter Weise offen zu sein für musikalische und gesellschaftliche Entwicklungen. In einem Sextett drückt jedeR MusikerIn die eigene Biographie aus, in jedem Ton lebt, was sie als MusikerInnen sind. Im Trio treten diese Eigenarten deutlicher und intimer hervor. Das hat ein ganz eigenes ästhetisches Potential. Es ist besonders reizvoll, der Musik nicht mehr anzuhören, wer Bandleader ist. Das scheint mir interessant an Klaviertrios in der Tradition von Bill Evans. Da kann man ganz komplizierte und unglaublich sensitive Reaktionsformen bis in sehr feine Nuancen hören. Natürlich ist sein Eigenname damit verbunden, aber im musikalischen Geschehen erkennt man alle drei Musiker gleich. Es geht nicht mehr um Vorder- und Hintergrund, um einen Virtuosen und seine Begleitung. Wenn alle Akteure gleichberechtigt auftreten und von allen dreien Impulse ausgehen, wechseln die die Ordnungen des musikalischen Sprechens permanent. Abhängigkeiten entstehen natürlich immer wieder, es heißt ja nicht, wenn alle gleichberechtigt auftreten, dass alle gleich frei und offen improvisieren.
Was macht die Besetzung mit drei Instrumenten so faszinierend?
Instrumente haben historische Rollen und Ausdrucksmöglichkeiten, die ihnen zugeschrieben werden, aber alles ästhetisch relevante schafft es, aus den Arten und Weisen des Spielens, die es gibt, etwas neues herauszuholen. Die Geschichte des Spielens ist immer in Entwicklung begriffen. Beim Trio gibt es meiner Ansicht nach keinen konventionellen Hintergrund als feste Bezugsgröße. Deshalb sind auch die Beispiele für alternative, verrückte Gegenmodelle von Trio-Formen, die beim moers festival präsent sind, für mich eine eine konsequente Weiterentwicklung dessen, was im Jazz ohnehin immer passiert. Dawn of Midi funktioniert nach einer anderen Logik als das herkömmliche Jazztrio. Hier geht es nicht mehr darum, dass man aufeinander antwortet oder, überzeichnet gesprochen, ein Geniesubjekt auf andere hört und tief bewegt wird. Sondern hier ist die Musik im Fluss, sie ist auf eine spannende Weise repetitiv. In diesem Trio ist selbst angelegt, genau das zu tun und darin konsequent zu sein. Deshalb ist es ästhetisch interessant. Es bewegt sich an der Grenze zwischen Jazz und akustisch gespielter elektronischer Tanzmusik. Auch die Musik von Moon Hooch ist tanzbar, weil sie groovt. Die Besetzung mit zwei Saxofonen und Schlagzeug ist ungewöhnlich, die Saxofone klingen wie Bässe und die Musiker spielen sie in weiten Teilen wie Percussion-Instrumente – ziemlich verrückte Tanzmusik. Harold López-Nussa ist ein sehr virtuoser Pianist, seinen Melodien und Patterns unterliegen die verschiedenen rhythmischen Elemente der kubanischen Clave. Das Trio spielt Stücke in ungeraden Taktarten, etwa im 7/8-Takt oder im 9/8-Takt, die auch gut grooven. Bei López-Nussa kann man gut sehen, dass das Klavier auch ein Percussion-Instrument ist.
Welche Rolle spielt das Trio bei der Emanzipation des Jazz als konzertanter Musik weg von der Tanzmusik, also beim Verlassen einer eher weiblich konnotierten Sphäre der Unterhaltung?
Topoi wie Energie, Dynamik und Sexual Drive sind auch in der Tanzmusik nicht nur weiblich besetzt. Ich hätte eher den Gedanken, dass nicht das Trio an sich weiblich oder männlich ist. Sondern ein Trio in der Tradition von Bill Evans wird eher mit weiblichen Attributen beschrieben wie empfindsam, romantisch, melancholisch. Diesen Zuschreibungen zufolge steht das Trio eher für eine Verweiblichung des Jazz. Denken wir daran, wie Jazz im Film eingesetzt wird – das sitzen Mann und Frau romantisch zusammen und der Action-Film wird auf einmal weiblich. Die Darstellung von Trios in Hollywoodfilmen scheint mir übrigens nicht unwichtig zu sein. Wer gar nicht Jazz hört, stößt vielleicht am ehesten auf verwandte Musik in Hollywoodfilmen, eben wenn ein Liebespaar an der Bar zusammenkommt.
Was bedeutet das Trio für den Selbstausdruck in der Improvisation?
Wenn man von interaktiven Trios ausgeht, in denen jedeR die Rolle des eigenen Instruments im Prozess des Spielens ganz offen neu aushandelt, kann man gar nichts verbergen. In einem Bigband- Arrangement ist eine Musikerin, ein Musiker, weniger in der Pflicht, die eigene Stimme zu entwickeln. Was den Erwerb dieser Fähigkeit angeht, ist das Trio eine schwierige Königsdisziplin. Denn jedeR sieht sofort, wenn etwas nicht funktioniert. Aber es gibt kein Musizieren, das nicht Teil einer kollektiven geschichtlichen Praxis wäre. Der eigene Ausdruck ist für mich immer eine Variante eines kollektiven Ausdrucks. Auch der Bruch ist natürlich dialektisch bezogen auf eine Tradition. Der Unterschied besteht nicht darin, dass der oder die eine in der Jazztradition spielt und der oder die andere nicht, sondern sie verhalten sich verschieden dazu und entwickeln ihre Stimmen in ganz andere Richtungen. Wenn man etwas etabliert, ist damit zugleich die Gegenetablierung etabliert. Hegel sagt, wenn du eine Grenze aufstellst, hast du sie durch das Aufstellen schon überschritten. Das Trio bewegt sich ist absolut an der Grenze zwischen Klangkunst, Neuer Musik und Jazz. Hier werden Klangstrukturen erkundet, seziert und atomisiert, woraus neue Grooves und Sounds entstehen. Das passiert auf eine bestimmte Art und Weise schon immer in der Jazztradition. Ein Reiz dieser Verfahren besteht darin, etwas sichtbar zu machen, was man sonst nicht sieht.
Welche Räume braucht das Trio?
Wenn jemand sagt, ein Trio sei etwas für die kleine Bühne würde ich fragen: An was für eine Art von Trio denkst du? Das Trio braucht die Räume, die es sich selber nimmt. Dafür sind die zum moers festival eingeladenen Trios gute Beispiele. Das Interessante am Ästhetischen ist doch, dass alles, was da gelingt, eigenlogisch ist. Man kann sich natürlich fragen, wo es herkommt und woran es anknüpft, aber es ist niemals verrechenbar. Das Trio braucht das, was es tut.
(Beitragsbild: Dawn of Midi, Foto: Falkwyn de Goyeneche)