Neue Wege: Die Musikerin und Komponistin Carolin Pook

von Franziska Buhre –

Carolin Pook staunt noch immer darüber, dass sie oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. „Ich hatte einfach irres Glück in meinem Leben mit Lehrern und Mentoren, die mich unterstützt haben“ erzählt Pook am Telefon in New York City, wo sie seit zehn Jahren lebt.

Geboren und aufgewachsen ist sie in Saarbrücken. Im Alter von sechs Jahren beginnt sie mit dem Geigenunterricht, ein paar Jahre später lernt sie außerdem Schlagzeug. Als Mitglied des Landes-Jugend-Symphonie-Orchesters Saar übernimmt sie in den Aufführungen von Leonard Bernsteins West Side Story in „Cool“ das schwierige Vibraphon-Solo. Beim Üben gesellt sich die Improvisation schnell hinzu. „Die rhythmische Schulung hatte ich ja vom Schlagzeug und zu improvisieren, hat total Spaß gemacht. Beim Vibraphon kannst du nur richtige Töne treffen, auf der Geige ist das viel schwerer.“

Carolin Pook am 21.01.2016, Festivalhalle Moers (Foto: Helmut Berns)

Am Schlagzeug mag Pook besonders die Kraft, mit welcher sich ein Klang in den Raum projizieren lässt. Zunächst aber legt ihr der Saarbrücker Pianist Christoph Mudrich nahe, die Geige in ihre improvisatorischen Erkundungen mit einzubeziehen. Sein Rat setzt enorme Energien frei, mit 16 hört und transkribiert Pook Aufnahmen von John Coltrane und Miles Davis. Ihr größter Held ist Dexter Gordon. Ebenso vertraut werden ihr die Aufnahmen von Django Reinhardt mit Stéphane Grappelli. Sie fährt zum Unterricht bei dem Sinto und Geiger Zipflo Reinhardt, der in der Nähe von Offenburg lebt und ein entfernter Verwandter von Django Reinhardt ist. Er lädt sie zu traditionellen Festen ein, auf denen Frauen keine Hosen tragen und keine Männer ansprechen dürfen.

Den Klang der Geige im Gypsy Swing mag Carolin Pook bis heute: „Mir lag es immer sehr, Gypsy Swing zu spielen, weil die Geige in dieser Musik akustisch nach sich selbst klingt. In anderen Jazzrichtungen ist das oft nicht der Fall, in der zeitgenössischen Musik wiederum einfacher, da ist alles möglich“ meint Pook. Während ihres Studiums der Jazz-Violine bei Michael Gustorff an der Musikhochschule in Köln taucht sie dank ihres Mentoren Werner Dickel, Professor für klassische und zeitgenössische Bratsche, in die Spielarten zwischen Jazz, Geräuschmusik und freier Improvisation ein.

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Hayden Chisholm & Carolin Pook am 21.01.2016, Festivalhalle Moers (Foto: Helmut Berns)

Dann begegnet sie dem US-amerikanischen Schlagzeuger und Hochschuldozenten Keith Copeland. „Er hat mich total in seinen Bann gezogen. Ich wollte etwas Neues lernen und er verkörperte den Jazz aus New York. Ich habe dann Schlagzeug geübt wie eine Wahnsinnige und nach einem Jahr die Aufnahmeprüfung dafür auch geschafft,“ sagt Pook im Rückblick. Im Abstand von nur einem Jahr schließt sie beide Instrumentalstudien ab. Dann ergreift sie die Chance, sich mithilfe eines Stipendiums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes am Queens College in New York fortzubilden. Sie nimmt Unterricht bei Mark Feldman, wieder ein Mentor, der sie bis heute inspiriert. „Er spielt keine Jazzklischees, ich kann ihn mir immer anhören. Was er auch spielt, es klingt immer nach Geige.“ Nach dem Studium beschließt Pook, in New York zu bleiben. In keiner anderen Stadt habe sie sich jemals so zuhause gefühlt, sagt sie mit einem hörbaren Leuchten in der Stimme.

Carolin Pook geht in New York buchstäblich neue Wege. Sie steuert gezielt ihr unbekannte Veranstaltungsorte an und nimmt Kontakt zu vielen verschiedenen Musiker_innen auf. Denn auch außerhalb des Kreises der deutschen Wahl-New-Yorker_innen aktiv zu sein, ist für sie künstlerisch eine Herausforderung. Sie ist Gastgeberin eines kleinen, umtriebigen Netzwerks, das sich zum Musizieren in ihrem Wohnzimmer trifft. Auf einem dieser Hauskonzerte wird 2010 das Pookestra aus der Taufe gehoben, ein Ensemble mit einer variablen Anzahl an Musiker_innen plus eineN Singer-SongwriterIn. Nicht eine einzige Person gibt Pook nun den Anstoß, ihrer eigenen Stimme zu folgen, sondern es sind die Persönlichkeiten, die sie fortan in Kompositionen zum Klingen bringt. Sie entwickelt ein Verfahren, das intensive Recherche, Selbstreflexion und die Hingabe an das temporäre Moment der Improvisation verbindet.

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Carolin Pook & Bürgermeister Christoph Fleischhauer am 21.01.2016, Festivalhalle Moers (Foto: Helmut Berns)

„Im Gespräch oder einer gemeinsamen Session versuche ich, mein Gegenüber kennenzulernen und ein Gespür dafür zu bekommen, was sie oder ihn als MusikerIn ausmacht. In welcher Rolle fühlt sich jemand zuhause und was macht dieser Person Spaß? Beim Komponieren habe ich diese Menschen dann im Kopf. Mein Anliegen ist, dass die Musiker_innen auf der Bühne strahlen können.“ Das Pookestra bestand bislang aus Besetzungen zwischen fünf und fünfzehn Musiker_innen, mal integriert es ein Streichquartett, mal sind Trompete und Bassklarinette mit von der Partie, mal spielt Pook neben der Geige auch Schlaginstrumente. Sie ist Komponistin, Ideengeberin, Leiterin, Dirigentin, Solistin – und sieht sich dennoch nicht in einer Sonderrolle. „Ich sehe mich eher als Regisseurin oder Choreographin,“ beschreibt Pook ihr Selbstverständnis.

Für jede Komposition überlegt sie, mit welchen Mitteln sie ihre Klangvorstellung am besten erreicht. „Ich schreibe gerne Sounds oder Geräusche, aber wenn es sich nicht anbietet, dann nicht. Wenn ich mit Improvisation arbeite, ist es viel wichtiger, mit wem ich das tue, weil jedeR ja ihre oder seine eigene Sprache hat. Für manche notiere ich die Musik aus, für andere lege ich bestimmte Zeichen fest, die ich dann abrufe.“

Für das Konzert beim moers festival arbeitet Carolin Pook zum ersten Mal mit sieben Geigerinnen, die völlig unterschiedliche musikalische Biographien mitbringen. „Mir ist das Risiko sehr wichtig. Wenn ich vorher schon weiß, dass etwas funktioniert, ist es weniger interessant. Wenn jede ihre eigene Persönlichkeit und Kreativität einbringen kann, hat das eine irrsinnige Kraft. Darauf ist dieses Stück angelegt.“ Als Improviser in Residence und Gastgeberin des Eröffnungskonzerts beim kommenden moers festival ist es dieses Mal Carolin Pook, die ihre Kolleginnen und das Publikum zur richtigen Zeit am richtigen Ort empfängt.

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